Stellungnahme zur Onlinetagung „Neue Zukunft in Berlin“

Nicht erst seit Corona ist klar: Die isolierende Unterbringung geflüchteter Menschen in Lagern ist ein unzumutbarer Dauerzustand, der nicht nur Menschen systematisch von der Teilhabe in der Gesellschaft ausschließt, sondern auch massiv gesundheitsgefährdend ist.

Daher begrüßen wir die geplante Auseinandersetzung zum Themenkomplex bei der Online-Tagung “Neue Zukunft in Berlin – Wohnen & Unterkünfte für Geflüchtete” ausdrücklich.

Wir sind jedoch sprachlos ob der Tatsache, dass keine (soweit erkennbar) Perspektiven von geflüchteten Menschen selbst im Programm der Veranstaltung verankert sind.

Mit allergrößtem Erschrecken mussten wir zudem zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Konferenzbeiträge am gescheiterten und veralteten Konzept der Unterbringung in Lagern festhalten und lediglich sogenannte ‘Verbesserungen’ in Betracht ziehen.

Was jedoch grundlegend neu oder gar zukunftsfähig in dem Tenor der meisten Bei- träge sein soll, erschließt sich uns daher absolut nicht.

Für viele flüchtlingspolitische & selbstorganisierte Initiativen ist schon seit langem klar: Die isolierende und ausgrenzende Unterbringung geflüchteter Menschen in Lagern hat sich weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart bewährt!

Ein Konzept, das Menschen von der Gesellschaft isoliert, krank macht und zudem noch teuer ist, kann und wird sich auch nicht durch kleine kosmetische ‘Verbesse- rungen’ als zukunftsfähiges Konzept erweisen. Die isolierende Unterbringung in Lagern ist kein zukunftsfähiges Konzept!

Anstelle der Frage wie sich ein ohnehin sinnloses und menschenunwürdiges Kon- zept verbessern ließe, wäre es bei Weitem zukunftsweisender, das Konzept der Unterbringung in Lagern grundsätzlich in Frage zu stellen.

Dass dies durchaus möglich ist und weniger an der Machbarkeit als am politischen, menschlichen und ethischen Willen scheitert, zeigt die Stadt Potsdam, die im August 2020 eine Unterbringung geflüchteter Menschen jenseits von Lagern auf den Weg gebracht hat. Auch wenn uns die Umsetzung dieses Beschlusses bisher nicht überzeugt, ist es zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Der Diskussionsrahmen einer Tagung zum Thema “Neue Zukunft in Berlin – Wohnen & Unterkünfte für Geflüchtete” sollte daher eher darauf ausgerichtet sein, Lösungen zu finden, um eine gesellschaftlich zukunftsfähige Unterbringung jenseits von Lagern zu realisieren.

Wir wissen aber auch: Solange Lager noch nicht abgeschafft sind, können Verände- rungen in Lagern das Leben von Menschen, die dort leben müssen, zumindest ein bisschen verbessern.

Die Refugee-Initiative “Migranos Movement” hatte am 12. März zu einem bun- desweiten virtuellen Vernetzungstreffen für Menschen, die in Lagern leben müssen eingeladen. Dieses Vernetzungstreffen wurde von verschiedenen Organisationen (u.a. „Zusammenleben Willkommen“) unterstützt. Damit zumindest auf diese Art die Perspektive einiger Betroffenen mit einfließt, haben wir die zentralen Kritikpunkte und Forderungen des Vernetzungstreffens zusammengefasst:

PRIVATSPHÄRE:
Ein eigenes abschließbares Zimmer für jede*n ist eine Mindestanforderung. Es braucht einen Ort, an dem man zu Ruhe kommen kann. Dieses eigene Zimmer darf auch nicht selbstverständlich und ohne Absprache von Securities, Betreuer*innen oder Sozialarbeiter*innen betreten werden.

SECURITY:
Securities müssen besser überprüft und überwacht werden.
Viele Menschen in Lagern erfahren Gewalt, Demütigung und Rassismus durch Securities. Sie werden oft provoziert und fühlen sich ausgeliefert. Securities geben auch immer wieder falsche Informationen an Sozialarbeiter*innen weiter und diese glauben ihnen.

ESSEN:
Es fehlt in vielen Lagern an den Möglichkeiten das eigene Essen kochen zu können. Gleichzeitig ist das Essen in Mensen häufig von sehr schlechter Qualität (angebrannt, verschimmelt, etc.). In Essensräumen sind häufig viele Securities und Bewohner*innen werden unfreundlich behandelt. Dadurch bedeutet Essen keine entspannte Situation, sondern Stress.

MEDIZINISCHE BETREUUNG:
In vielen Lagern existiert keine ausreichende medizinische Betreuung. Oft fehlt es selbst an einfachen benötigten Medikamenten wie ausreichend Schmerzmittel oder anderen notwendigen Medikamenten.

ORT DES LAGERS:
Lager befinden sich häufig außerhalb, ohne öffentliche Anbindungen oder in Stadtteilen mit viel Rassismus. Lager sind häufig umzäunt und erinnern eher an ein Militärgelände, anstatt an einen Wohnort. So werden Bewohner*innen stigmatisiert und haben kaum Möglichkeiten andere Menschen kennen zu lernen.

ANGESTELLTE IN LAGERN:
Auf allen Ebenen arbeiten Menschen in Lagern, die in ihrem Job überfordert sind, keine gute Arbeit machen und teilweise rassistisch handeln. Angestellte sollten besser überprüft und begleitet werden.

INTERNET:
Häufig gibt es Wlan nur für Betreuer*innen, nicht aber für Bewohner*innen. Wir leben im Jahr 2021 und besonders geflüchtete Menschen sind auf Internet elementar angewiesen um mit Familie und Freund*innen Kontakt halten zu können oder bürokratische Dinge zu organisieren.

Wir hoffen sehr, ihr könnt unsere Kritik umfassend in die Forderungen an die politischen Parteien und Verwaltungsabteilungen mit aufnehmen!